Freudentänzchen

Feiern, was wir (noch) können

Es ist großes Kino, wenn seine Schwestern durch das Wohnzimmer tollen. Frederick staunt sie an und freut sich riesig, wenn sie von der Tagesmutter wieder nach Hause kommen und so richtig Stimmung in die Bude bringen. Dann lacht er, streckt ihnen seine kurzen Ärmchen entgegen und sie drücken und küssen ihren kleinen Bruder zur Begrüßung. Von Sanftheit dieser Liebesbekundungen kann nicht immer die Rede sein. Aber feste und innig, das ist sie, ihre Beziehung!
Als Frederick gerade erst zwei Monate auf diesem Planeten war, erwischte ihn ein Atemwegsvirus derart heftig, dass er mit seinem Papa in die Kinderklinik musste. Auch viele, viele Wochen später erholte sich der Knirps nur sehr langsam und nur mit der regelmäßigen Gabe von bronchienerweiternden Mitteln. Und so lag Frederick mit wachen Augen zu Hause „bummelig rum“, beschäftigte sich damit, seinen älteren Schwestern zuzuschauen, Babyspielzeug anzulutschen und an Gewicht zuzulegen … Aber bewegen, nein, bewegen war nicht drin, denn sein eigentlicher Fokus war darauf ausgerichtet, Atem zu gewinnen.
Das tat mir leid. Als Oma mit Asthma konnte ich mich gut in ihn hineinfühlen: Wenn ein Atemwegsinfekt dich derart heftig erwischt, „da machse nix mehr außer gucken, da kommst du nich mehr vonne Stelle“. Somit musste Fredericks motorische Entwicklung einfach mal warten.

„Da war er noch frisch“

Im letzten Urlaub hatte seine älteste Schwester Charlotte – selbst zu diesem Zeitpunkt noch keine drei Jahre alt – einen tollen Freund zum Spielen gefunden, mit dem sie sich auch prächtig über ihre Gedanken austauschen konnte. Es war entzückend, den beiden Kleinen zuzusehen und zuzuhören. Wie Erwachsene redeten sie ernsthaft miteinander. Charlotte hörte man sagen: „Als mein Bruder noch keine Zähne hatte, da war er noch ganz frisch!!“ Sie als Erstgeborene hat ihren kleinen Babybruder genau im Blick. Das ist mal klar!
Vier Zähne später ist Frederick nun nicht mehr ganz frisch und alle sind froh, dass er munter umherkrabbelt. Charlotte passt fürsorglich auf, dass er keine Kleinteile ihres Spielzeugs verschluckt. Sicher, die Fürsorge gilt auch ihren Plastiksteckern, aber zuallererst tatsächlich ihrem Bruder.
Dann, fünf Zähne später, zieht der junge Herr sich an den Möbeln empor und versucht schließlich von der Sessellehne aus, die Fensterbank zu erobern. Erste Seitwärtsschritte
an Kommode und Tisch entlang bringen ihn auch seinen weiteren Zielen näher. Die Sache mit dem aufrechten Gang ist also in der Erprobungsphase angelangt! Nach so langem Warten beobachten alle Familienmitglieder gespannt, wann es endlich losgeht, oder besser: wann er endlich losgeht.

„Ich kann auch laufen!“

Sechseinhalb Zähne sind da, als Opa und Oma zu Besuch sind. Die ganze Familie hockt gerade auf dem Fußboden, um ein großteiliges Puzzle herum. Und somit auf Augenhöhe des Knirpses. Da ruft Mama plötzlich: „Frederick läuft! Habt ihr das gesehen!?“ Ja und ob! Er ist drei Schritte durch den Kreis in die Arme seines Opas getapst! „Wow! Frederick kann laufen!“, jubeln und klatschen wir alle.
Charlotte sieht achtungsvoll und mit leuchtenden Augen auf ihren Bruder, der nun eindeutig nicht mehr ganz frisch ist, aber dafür jetzt endlich drei Schritte laufen kann! Toll! Da meldet sich Lisette, die Zweitgeborene, zu Wort und ruft: „Ich kann auch laufen!“ Sie ahmt den Wackelgang ihres Bruders gekonnt nach und lacht dabei. „Wow! Lisette kann laufen!“, jubeln und klatschen wir da natürlich ebenfalls.
Dann, ist ja klar, will auch Charlotte gefeiert werden: „Ich kann auch laufen!“ Sie ahmt Frederick nach und wir rufen: „Wow! Charlotte kann laufen!“ Und weil’s so schön ist, gibt es gleich noch mal von beiden Mädels eine Vorführung. Ein richtiges Freudentänzchen! Wir bejubeln sie von Herzen, klatschen und lachen ausgelassen miteinander.

Ein Geschenk

Mein Herz wird ganz dankbar bei diesem Abfeiern: Welch ein Geschenk! Alle meine Enkel können laufen! Und ich – die Oma – selbst auch (noch)! Jubeln und Feiern ist eine so schöne Sache! Warum mache ich das nicht öfter?

Welche Fähigkeiten meines Körpers sind alle zu bejubeln? Na, noch jede Menge! Denn ich bin noch größtenteils bewegungsfähig und gesund. Da geht noch so einiges, auch wenn ich nicht mehr ganz frisch bin – denn ich hab‘ ja Zähne!

In meinem Herzen macht sich ein großer Dank an meinen Schöpfer dick und breit und wird schließlich zu einem Lied:

Lobet den Herren, alle die ihn ehren;
lasst uns mit Freuden seinem Namen singen
und Preis und Dank zu seinem Altar bringen.
Lobet den Herren!
Dass unser Sinnen wir noch brauchen können
und Händ und Füße, Zung und Lippen regen,
das haben wir zu danken seinem Segen.
Lobet den Herren!
Paul Gerhardt 1607-1676

Dieser Text von Christine Schlagner stammt aus LebensLauf 4/23.