„Wo de Nordseewellen trecken an de Strand“*

Die Großeltern-Kolumne

Herbsturlaub mit Tochter, Schwiegersohn und zwei Enkeln auf der Nordseeinsel Langeoog. Jeden Tag am Strand: Höhlen und Wasserkuhlen buddeln, Priele umleiten („Priel“nennt man einen Wasserlauf im Watt), spielen, rennen … Und: In einem „hängenden Nest“ schaukeln (siehe Foto) – mit Sicht auf die Brandung und dabei Lieder von der See, von Wind und Wellen singen.

Ein Hit wird das humorvolle Lied: „In einen Harung, jung und schlank, zwo, drei, vier, ss-ta-ta, ti-ral-la-la …“ Kern des Liedes: Eine alte Flunder (Plattfisch) verliebt sich in einen Harung (Hering). Aber dem ist sie „viel zu platt gedrückt“. Als die Flunder jedoch ein Goldstück von zehn Rubel auf dem Meeresgrund findet, ist ihr Jubel groß. Denn nun ist sie reich und „da nahm der Harung sie sogleich; zwo, drei, vier, ss-ta-ta, ti-ral-la-la; denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung.“

Szenenwechsel: Am Spätnachmittag dann Langeooger Dünensingen mit dem gleichnamigen Liederheft. Wird unser Hit auch gesungen werden? Ja! Prima! Doch beim Singen stutze ich. Ich kenne nur die fünf mündlich überlieferten Strophen aus der „Mundorgel“. Im Liederheft jedoch ist nach der vierten eine zusätzliche Strophe eingefügt: „Er biss die alte Flunder tot, verspeiste sie zum Abendbrot. Versoff dann die zehn Rubel, oh, welch ein Jubel …“  Ich bin mit der neuen Strophe nicht einverstanden, singe sie nicht mit. Nach dem Lied sage ich dann – immer noch etwas irritiert – zu den Enkeln: „Die Strophe, dass der Harung die Flunder tot beißt und sogar auffrisst, die kannte Opa gar nicht.“ Da bringt der Fünfjährige die Sache knapp auf den Punkt und sagt: „Wie gut!“

Nachtrag: Nach dem Urlaub liest seine neunjährige Schwester ihm diesen Artikel vor, freut sich und staunt: „Das sind ja wir!“ Als er aber die ersten Worte der zusätzlichen Strophe hört, presst er spontan die Fäuste auf beide Ohren und verzerrt sein Gesicht …

Unser Autor möchte anonym bleiben.

* „Wo die Nordseewellen an den Strand spülen“. Dieses Lied von Martha Müller-Grählert (*1876 +1938) ist in ganz Norddeutschland sehr beliebt. In der ursprünglichen Version ist übrigens von Ostseewellen die Rede.