Oma und ich

Im Urlaub lasse ich mich am liebsten irgendwo nieder und versuche, mich dort, wo ich bin, einzuleben und mit Menschen am Ort in Kontakt zu treten. Immer bin ich überrascht, welchen Gewinn ich von spontanen Begegnungen oder Gesprächen habe. Man kann solche Dinge nicht planen, man muss dafür nicht einmal Kraft aufbringen, sondern sie einfach geschehen lassen. Eine unvergessliche Urlaubserfahrung in den letzten Jahren war, als ich zusammen mit einer alten, an Alzheimer erkrankten Großmutter Zwiebeln geschält habe. Die Familie der Frau führte eine Taverne auf einer griechischen Insel. Die Oma war ganz auf die Hilfe anderer angewiesen und wurde von ihrer Familie versorgt. Weil Kinder und Enkel im Betrieb alle Hände voll zu tun hatten, blieb sie meist im Haus oder auf einem Stuhl direkt vor der Küche der Taverne. Dort saß sie, versunken in ihrer eigenen Welt. Meist schwieg sie, manchmal murmelte sie vor sich hin. Und immer zupfte sie an ihrer großen Schürze herum, die sie über ihrer schwarzen Witwenkleidung trug.

Ein Weg aus der verschlossenen Welt

Ich weiß nicht mehr, wie es kam – jedenfalls setzte ich mich eines Tages auf der Terrasse vor der Küche zu ihr, und wir fanden eine gemeinsame Beschäftigung: Zwiebeln schälen. Und das nicht nur einmal, sondern mehrere Male. So wie es eben kam. Sicherlich finden Sie das verrückt, dass man im Urlaub freiwillig Zwiebeln schält, aber uns beiden – der griechischen Oma und mir – machte es viel Freude. Die Alzheimerkrankheit hatte die alte Frau allmählich aus ihrem Alltag hinaus in eine stille, verschlossene Welt gedrängt. Sie verbrachte unendlich lange Tage in Wolken des Nichtverstehens und des Nichts-mehr-Wissens. Und dann auf einmal fanden ihre Hände eine Beschäftigung, die ihr vertraut war: Zwiebeln schälen für die Küche, wo ihre Töchter und die Enkel in großen Kesseln rührten, wo viel Betrieb war und wo es gut roch, so gut wie schon immer. Statt einfach dazusitzen und vor sich hin zu starren, wurde sie jetzt gebraucht. Es ist unglaublich: Zwiebeln schälen konnte sie noch, und sie tat es mit äußerster Konzentration. Manchmal redete sie dabei, aber ihre Worte waren, so sagte man mir, ohne Zusammenhang. Das war kein Problem, denn wir brauchten keine Worte, wir hatten es auch so gut miteinander. Wir schälten haufenweise Zwiebeln und weinten Ströme von Zwiebeltränen, was herrlich heilsam und entspannend war.

Therapeutisch

Seien Sie ehrlich: Das ist doch eine außergewöhnliche Erfahrung, oder? Es war Urlaub, ich hatte sonst keine Pläne, meine Einstellung war: Komme, was mag. Ohne Worte tauchte ich ein in das Leben einer kleinen griechischen Familie, die seit über 50 Jahren eine Taverne am Meer führt. Eine kulturelle Erfahrung, das war es. Oder vielleicht eher eine kulinarische? Schließlich bereiteten wir gemeinsam griechische Gerichte vor. Wir zwei, Oma und ich, waren ein wichtiges Glied in einem großen Geschehen, wir waren mitverantwortlich für den Erfolg der Taverne. Ohne uns wäre alles nichts gewesen, denn was wäre zum Beispiel der griechische Salat ohne Zwiebeln? Die mediterrane Küche ist so gesund wie keine andere. Und Zwiebeln schälen ist therapeutisch: Ohne die Hilfe von Psychologen – was eine kostbare Sache ist – weint man sich einmal richtig aus und wird heil. Dank Oma und den Zwiebeln wurde dieser Urlaub zu einer Erholung pur – ich kehrte völlig ausgeruht und ausgeglichen in die Niederlande zurück.

Dieser Text stammt aus LebensLauf 3/24 und ist eine Geschichte von Noor van Haaften aus ihrem Buch „Au-pair in Paris und andere wahre Geschichten“ (Gerth Medien).