Mein Blick auf die jüngere Generation

Visionen entwickelt man nicht nur für das eigene Leben. Reife Menschen, egal wie alt sie sind, entdecken und fördern auch das Potenzial in anderen. So bringen Kinder und Jugendliche mit ihren
Ideen Pastorin Margrit Wegner immer wieder zum Staunen.

Es ist immer das Gleiche: Kurz vorher frage ich mich, warum ich mir das antue. Ob ich vielleicht allein dastehe, wenn es losgeht? Ob ich doch alles in letzter Minute selbst machen muss? Keine Frage: Ich liebe es, gemeinsam mit Jugendlichen etwas zu gestalten. Aber ich schwitze jedes Mal Blut und Wasser, ob am Ende alles klappt.

Die Kinderkirche ist so ein Beispiel. Sonnabend wollen wir den Dom für Kinder und Familien öffnen. Coronagerecht sollen sie mit Abstand und Maske an Stationen zum Thema Abendmahl rätseln, basteln, erleben und schmecken. Jetzt ist Mittwochabend, und bis heute Nachmittag hatte ich nicht eine einzige Rückmeldung der Konfis, älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen
erhalten.

Allmählich trudeln die Mails ein. Gut die Hälfte der Stationen stehen. Und ich staune: Über die Kreativität der jungen Menschen. Über ihre Ideen. Über ihren spielerischen Umgang mit dem Thema, hinreißende Formulierungen und abstruse Grammatik und über ihren souveränen Umgang mit der Technik. So wie die drei Mädchen: Johanna, Naomi und Anna – gerade mal 14 Jahre alt und zum ersten Mal dabei im Team – haben ein Ausmalbild entworfen. Ein leerer Tisch ist darauf zu sehen mit Brot und Weinkrug, rundherum zwölf freie Plätze. Dazu schreiben sie für die Kinder: „An dieser Station könnt ihr all die Personen in die Felder malen, mit denen ihr gerne zusammen esst. Denn genau so hat es Jesus mit seinen zwölf Jüngern gemacht. Alle gemeinsam haben sie sich an einen Tisch gesetzt, und Jesus hat mit ihnen Brot und Wein geteilt. Deshalb sind auch zwölf Felder auf der Vorlage abgebildet. Also ran an die Stifte und los geht‘s!“ Eine hinreißende Idee, finde ich. Die Kinder sollen malen, was ihnen Gemeinschaft bedeutet und wer ihnen lieb ist. Abendmahl als Gemeinschaft der vielen – wunderbar!

So sind sie nun mal

Noch drei Tage bis zur Kinderkirche. Es steht erst die Hälfte. Aber meine Sorge, allein mit allen Aufgaben und den vielen Kindern zu bleiben, weicht wieder einmal der Dankbarkeit und der Zuversicht. Jugendliche sind nun einmal so. Sie haben andere Zeiten. Kommen mitten in der Nacht auf die tollsten Ideen, und meistens erst kurz vor Beginn zur Veranstaltung. Sie ziehen sich
zurück, wenn man sie unter Druck setzt oder zu viele Vorgaben macht. Gibt man ihnen aber Verantwortung, lässt man ihnen alle Freiheit und signalisiert ihnen, dass man ihnen etwas zutraut, dann wachsen sie über sich selbst hinaus. Sie kommen auf völlig verrückte Ideen, die nicht immer meinen Vorstellungen entsprechen, aber bei den Kinderkirchen-Familien super ankommen.

Ich ahne, dass die letzten Dinge erst Sonnabend früh fertig sind. Dass irgendwer etwas Wichtiges völlig vergisst, weil noch eine Klassenarbeit ansteht oder die Freundin Schluss gemacht hat oder unvorhergesehen das Wetter zu schön war für die Aufgabe. Das gehört eben dazu. Die anderen im Team werden dann ihren Unmut deutlich machen, das ist drastisch genug. Da muss ich gar nicht viel sagen.

Am Ende ist alles gut

Ich weiß, es wird wieder so sein: Wenn am Sonnabend die Kinder und Familien die Kirche erobern, wenn die Jugendlichen erst ungeübt, oft zaghaft oder schüchtern, dann immer selbstbewusster ihre Stationen präsentieren und sehen, was die Kinder dort erleben und basteln, dann sind sie am Ende alle wieder über sich hinausgewachsen. Nicht selten entdecken diese Jugendlichen Talente an sich, von denen sie gar nichts ahnten. Dass sie gut mit Kindern umgehen können. Dass sie etwas so erklären, dass Eltern und Großeltern ihren Anweisungen folgen. Dass sie kreativer sind als gedacht. Dass sie Spaß haben an theologischen Fragen. Dass sie sich trauen, vor einer Gruppe zu reden. Man muss ihnen nur die Möglichkeit geben, das zu entdecken. Sie ermutigen, den Weg weiterzugehen, wenn sie richtig Feuer fangen.

Immer wieder rate ich, auch beruflich etwas daraus zu machen. Bei der Kirche zu arbeiten. Theologie zu studieren. Erst gestern habe ich mit einer jungen Frau telefoniert, sie war auch mal dabei. Mit dem Studium ist sie längst fertig. Sie ist nun promovierte Vikarin. In ihrer Gemeinde haben die Jugendlichen kaum Freiraum. Das will sie ändern.

Margrit Wegner ist Pastorin am Dom zu Lübeck.