Experten unter sich

Die Großeltern-Kolumne

Es ist ein Wunder, wie Kinder nach und nach das Sprechen lernen und so beginnen, sich die Welt anzueignen. Das gilt auch für den kleinen Fabian und seine jüngere Schwester Paulina. Mit einem Mal verwenden sie Wörter, die sie irgendwo und irgendwann, vielleicht ein einziges Mal gehört haben, wie „Avocado“ oder „Nacktschnecke“. Aber nun sind sie im Gedächtnis gespeichert.

Alles hatte mit einzelnen Wörtern begonnen: Mama, Papa, Susi – das ist der Dackel –, Auto. Dann folgten die ersten kleinen Sätze. Und bald schon entwickelt sich eine frühe Form der Grammatik. Einzelne Vokabeln wurden miteinander in einen logischen Zusammenhang gebracht.

Ein Warum nach dem anderen

Bald wird Fabian fünf Jahre alt; Paulina hat vor Kurzem ihren dritten Geburtstag gefeiert. Die Kleine schnattert ohne langes Besinnen. Der Zuhörer hat das Gefühl, dass sie gar nicht nachdenken muss. Die Worte sprudeln aus ihrem Mund. Und das, was sie sagt, ist gar nicht so ohne, auch wenn manches ein wenig altklug klingt.

Gut, die Erwachsenen, Eltern, Großeltern und Erzieherinnen beschäftigen sich viel mit den Kleinen. Sie erklären ihnen, wie aus einem Samen eine Pflanze entsteht, warum es regnet oder weshalb man unreife Johannisbeeren nicht essen darf. In aller Regel hören die beiden Kinder aufmerksam zu.

Fabian ist nun in der Entwicklungsphase, in der ein „Warum“ das andere in rascher Folge ablöst: „Warum haben die Vögel Federn?“ – „Warum kann man Kastanien nicht essen?“ – „Warum tust du Zucker und Milch in den Kaffee?“ Der Opa antwortet gern und geduldig. Aber – zugegeben – manchmal gerät er auch in Verlegenheit, weil ihm die rechte Antwort fehlt. Und wenn alle Stricke reißen, dann sagt er schulterzuckend: „Weißt du, Fabian, so ist das eben …“

Großeltern haben mehr Zeit für ihre Enkelkinder, als sie es früher für die eigenen Kinder hatten. So ist das nun einmal. Und eigentlich ist es auch gut und schön. Und was tut es schon, wenn man die kleine Paulina und ihren Bruder Fabian gelegentlich ein wenig verwöhnt! Schlechte Menschen werden sie dadurch mit Sicherheit nicht.

Glücksmomente

Der Opa – die Oma lebt leider nicht mehr – wird immer wieder einmal durch Glücksmomente entschädigt. Und dann erwacht der Wunsch, dass alles für immer so bleiben sollte. Aber alle Lebenserfahrung spricht dagegen. Die Kinder werden älter und älter. Bald beginnt die Schulzeit. Sie lernen neue Freunde und Freundinnen kennen. Der Horizont weitet sich. Und eines Tages gehen sie ihre eigenen Wege. Da bleibt nur zu hoffen, dass sie ihre Kindheitserlebnisse und auch ihre Großeltern nicht vergessen.

Glückliche Augenblicke! Opa ist ein wenig müde und hat sich auf einem der Gartenstühle niedergelassen. Er beobachtet die Kinder beim Spielen im Sandkasten oder in geheimnisvollen Verstecken in der schon ein wenig verwilderten Hecke. Sie genießen den etwas ungepflegten und wildromantischen Garten.

Aber dann kommt Fabian zurück, zieht einen der Gartenstühle zum Opa hinüber und setzt sich an dessen Seite. Und dann beginnt das Gespräch zwischen zwei Experten, ein richtig gehaltvolles, beglückendes Gespräch: „Opa warum ist die serbische Fichte schmaler als die andere Fichte?“ – „Opa, kann sich ein Elefant in dem hohen Schilfgras verstecken?“ – „Opa, warum gibt es Eisbären nur am Nordpol, nicht aber am Südpol?“

Der Opa gibt bereitwillig Auskunft, erklärt, vergleicht. Selten hat er einst so neugierige und aufmerksame Schüler gehabt. Irgendwann ist es aber dennoch genug. Fabian springt von seinem immer noch zu hohen Stuhl und räubert draußen in der Gartenwildnis weiter.

Der Opa sitzt da und schaut zu. Und freut sich schon darauf, dass Fabian wieder seinen Stuhl zu ihm herzieht und mit ihm ein Gespräch „unter Experten“ führt. Da gibt es noch eine Menge zu klären. Und dabei lernt nicht nur der Junge etwas …

 

Kurt Schreiner wohnt in Öhringen (Baden-Württemberg).